Zweiter Tag in Kingston
Pünktlich um 10 Uhr morgens holen wir unseren Guide Matthias in den Bergen über Kingston ab. Wir haben noch nicht gefrühstückt und unser Magen hängt auf halb Acht. Wir bekommen nur einen Kaffee in einem Einkaufszentrum. Mehr gibt es zunächst nicht, weil wir sonst mit unserem Kingston-Programm nicht durchkommen. Matthias hat seine Rastafari-Oasen, die er uns zeigen möchte. Das Hauptaugenmerk unser Tour mit ihm liegt auf der Rastafari-Kultur und auf der Geschichte der Reggae Musik. Die erste Oase die wir ansteuern ist ein Bio-Markt, der von Rastafaris betrieben wird und vegane und vegetarische Pasteten und Nahrungsmittel anbietet. Wir essen alles! Es ist mittlerweile fast 12 Uhr und wir haben tierischen Hunger. Die Vollkornteigpasteten mit Ackee-Bohnen und Gemüsestreifen gefüllt schmecken wirklich richtig gut. Ackeebohnen und Saltfisch sind das klassische jamaikanische Frühstück, aber wir sind uns einig, die Vegetarier so wie so, dass wir auf den Saltfisch verzichten. Weiter geht es zu den Legenden der Reggae Musik, zu Earl Chinna Smith in Inna de Yard,
zu den alten Rastafaris Bongo Trevor und Brother Slim im Stadtviertel Trenchtown.
Ohne die Begleitung von Matthias wäre es uns in hundert kalten Wintern nicht in den Sinn gekommen auch nur einen Fuß in dieses Stadtviertel zu setzen. Matthias kennt seine Leute und die passen für eine Flasche Bier oder für 100 JAM Dollar verlässlich auf unseren Mietwagen auf. Mitten in Downtown hat eine Künstlerinitiative beschlossen die Häuser zu bemalen und ein ganzer Straßenzug ist nun eine OpenAir Kunstgalerie.
Die LiveYard Family hat ein Gebäude übernommen und bietet den Schulkindern des Quartiers Frühstück und Mittagessen mit Betreuung an. Im Hinterhof des Gebäudes, eher der Wellblechhütte, haben sie einen Lehrgarten und bauen Gemüse an und ernten Brotfrucht, Mangos und Kokosnüsse. So sehen die Kinder, dass es möglich ist, sich selbst zu verpflegen.
In diesem Klima wächst Alles und mit ein bisschen Eigeninitiative kann man die Familie fast selbst ernähren. Bisweilen entsteht der Eindruck, dass die Einheimischen nur die Früchte nutzen, die ohne ihr Zutun selbst vom Baum fallen. Die Initiative fördert ein Umdecken bei den Kindern und das ist begrüßenswert.
Weiter ging es zum Ward Theater in Kingston. Ein altes Theater mit 800 Plätzen im viktorianischen Stil, leerstehend und seit Jahren nicht mehr bespielt. Die Türen sind offen und am Infodesk spielen zwei alte Männer seit Jahren Karten. Wir können uns frei bewegen, sogar das Licht funktioniert noch. Jammerschade dass für die Instandsetzung kein Geld da ist.
In der Nähe des Theaters ist der älteste Plattenladen und das älteste Aufnahmestudio Jamaikas. Matthias führt uns rein und wir sehen hunderte von Singles und LPs ( für die jüngere Generation: das sind so runde Vinylscheiben, auf denen die Musik drauf war) eine Hammond B 3 Orgel, eine 8-Spur-Bandmaschine, Grundig-Mikrofone u.v.m. In den 70iger Jahren verlassen und seitdem unverändert.
Die größten Aufnahmestudios befanden sich damals in der Orangestreet – heute auch alle verlassen und verfallen. Zur Stärkung führt uns Matthias in einen Hinterhof zwischen einem Beerdigungsinstitut und einem verlassenen Plattenladen. Hier bekommen wir einen bunten Vegi-Teller mit Bohnen, Kichererbsen, Linsen, Süßkartoffeln, Brotfrucht und sonstigen undefinierbaren Zutaten nach der Ernährungsweise der Rastafaris. Zuvor jedoch müssen wir einen Aperitif in Form einer Kräuteressenz (ohne Alkohol) zu uns nehmen. Pflichtprogramm, weil sonst der Körper nicht genügend Verdauungssäfte zur Verfügung stellt. Uns rollt es eher die Fußnägel auf, als dass die Körpermitte reagiert. Sei es drum, der Bauch ist voll und die Grundlage für die erhofften Abend Red Stripes ist gelegt. Wir müssen das Konterprogramm jetzt endlich anfahren und begeben uns zum Bob Marley Museum, wo die große Geburtstagsparty (posthum) stattfindet. Der Mietwagen wird am Guesthouse geparkt und der Vermieter kurzerhand davon überzeugt, dass es eine gute Tat ist, uns mit seinem Auto zum Museum rüber zufahren. Dort angekommen ist die Party schon voll im Gange und wir stellen uns zuerst in die Schlange vor dem Red Stripes Stand! Konterprogramm in Form von Bier. Auf der Bühne treten im Halbstundentakt verschiedene lokale Künstler auf und machen eindrucksvollen Krach. Wir verziehen uns auf dem weitläufigen Gelände in eine ruhigere Ecke, trinken unser Bier und schmieden Pläne.
Als Highlight sind die Marley-Kinder angekündigt. Also nicht alle 46, sondern nur 4 davon, nämlich Steven, Damian, Julian und Ky-Mani. Einige sind leibliche Kinder, andere hatte er anerkannt und weitere nicht. Er ist zu früh verstorben und genaues weiß man nicht. Wir warten bis nach Mitternacht und die Kinder, mittlerweile ja auch um die 50 Jahre alt, erscheinen auf der Bühne und machen …. nur Krach. Enttäuschung bei uns. Der Reggae Rhythmus kommt zwar durch, aber es hört sich nach Rap vermixt mit Reggae an. Für unsere Ohren untragbar und wir verlassen das Heiligtum. Ein Taxi fährt uns zurück zum Guesthouse. Das Guesthouse war grenzwertig, wenigstens die Bettwäsche roch frisch gewaschen und wir haben die Hoffnung, dass wir keine Krabbeltierchen mitgebracht haben.